Montag, 20. November 2017

Fatigue ist so viel mehr als nur ein bisschen müde

Seit Wochen versuche ich über, gähn, Fatigue zu schreiben. Aber gerade weil ich es, wie so viele von euch auch, als Begleiterscheinung zu meinem Crohn habe, dauert das Schreiben im Moment ewig. Ich bin einfach immer zu müde. Das fängt morgens im Moment damit an, dass ich überlege, wie ich aus dem Bett rauskommen soll, wenn doch alles wehtut und sich anfühlt, als wäre ich ein Sack Beton (und quasi unbewegbar). Deshalb stelle ich mir seit einiger Zeit auch den Wecker früher, damit ich trotzdem irgendwie pünktlich auf der Arbeit bin. Bis ich da aber ankomme, geht der Kampf erstmal weiter: jeden Tag etwas anderes anziehen? Deutlich überbewertet und kann ich einfach nicht. Jeden Tag duschen? Hallo, so viel Kraft hab ich höchstens alle zwei Tage. Und so geht es dann weiter: den anderen zuhören? Sehr schwierig, weil ich immer wieder abdrifte. Und das ist nicht, weil es mich nicht interessiert (naja, meistens zumindest;). Es geht einfach nicht. Genauso, wie mich an Dinge zu erinnern? Ähhh, woran noch gleich? Mein Kopf fühlt sich oft so in "Watte gepackt" an (ich finde das englische Wort "brain fog", Hirnnebel, irgendwie passender), dass ich die einfachsten Sachen vergesse: was wollte ich gerade tun? wie heißt nochmal mein gegenüber (eigentlich war ich doch mal für mein gutes Namensgedächtnis bekannt...Duh!)?  


(Quelle: http://pinterest.com/pin/610378555716989267/?source_app=android; 
letzter Zugriff: 21.11.2017)

Wer gesund ist, der wird jetzt vielleicht sagen: "Übertreib mal nicht. Müde ist doch jeder mal. Schlaf dich aus, dann geht es schon wieder." An dieser Stelle muss ich leider den Ton vom Zonk einspielen. Kennt ihr den noch? Jedem war klar, dass die Kandidatin das falsche Tor gewählt hatte. Das ist hier auch so. Denn leider ist es nicht so einfach und geht über einfaches müde sein, dass sich durch ganz viel guten Schlaf, einen regelmäßigen Lebenswandel etc. beseitigen lässt, deutlich hinaus. Aber warum? Und was ist das, was unsere Ärzte als Fatigue umschreiben, eigentlich?

Unter Fatigue versteht man eine Ansammlung verschiedener Symptome, z.B. bleierne Müdigkeit, fehlende Energiereserven, ein, im Vergleich zu vorausgegangen Aktivitäten, unverhältnismäßig hohes Ruhebedürfnis, "Brainfog" (s.o.), Vergesslichkeit und Konzentrationsstörungen und generalisierte, unspezifische Schmerzen. Dabei ist es häufig als eine Begleiterscheinung von verschiedenen chronischen Erkrankungen und Krebs und somit vom chronischen Erschöpfungssyndrom, zumindest nach neuestem Stand, abzugrenzen (vgl. auch Flexikon: Fatigue). Aber wieso bekommt man auch noch Fatigue? Der Crohn reicht doch eigentlich... finde ich zumindest. 

Nun, so wie ich das verstanden habe, hängt Fatigue eben eng mit der CED zusammen. Zum einen wirkt sich die Krankheitsaktivität natürlich auf den Kräftehaushalt aus. Die Entzündung im Körper führt dazu, dass wir uns schlapp, müde und krank fühlen. Hinzu kommen aber auch Nährstoffmängel (besonders Vitamin D, Vitamin B12 und Eisen/ Ferritin), weil wir entweder aufgrund von Schmerzen/ Durchfällen/ Verstopfung/ Engstellen etc. zu wenig essen und dadurch zu wenig aufnehmen oder weil es durch die Entzündung zur Malabsorption, also der fehlenden oder zu niedrigen Aufnahme an Nährstoffen, kommt. Vielleicht fragt ihr euch, wie ich, ob man denn etwas dagegen tun kann?

Wie so oft bei den CEDs gibt es ein klares Jein. Vielleicht habt ihr auch schon festgestellt, dass zu wenig Schlaf uns überdurchschnittlich viel Energie raubt. Der Umkehrschluss aber, dass uns viel Schlaf also bestimmt fitter, wacher und energiegeladener macht, trifft aber leider nicht automatisch zu. Ebenso kann es sein, dass wir nicht in einem akuten Schub stecken, aber trotzdem das Gefühl haben, als schleppten wir Steine, ach, was sag ich, Felsen, mit uns umher. Und das, obwohl wir sicher nicht faul sind!

1. Blutwerte
Wie auch immer, es macht Sinn, bei Blutabnahmen regelmäßig die entsprechenden Werte (Vitamin D, Vitamin B12, Magnesium und Eisen zu checken und dann als Ergänzungsmittel einzunehmen oder ggfs. als Spritze oder Infusion zu substituieren, sollten sie zu niedrig sein.


2. Richtig essen
Da mein Bauch sich besonders in der ersten Tageshälfte oft nicht gut anfühlt, neige ich dazu, lange mit meiner ersten Mahlzeit zu warten und esse oft das erste Mal mittags (natürlich auch, um vorher nicht zu oft auf Toilette zu müssen). Um vorher nicht komplett einzugehen, mache ich mir deswegen, wenn ich die Zeit habe, einen Smoothie oder packe mir ein Fresubin ein. Dann habe ich wenigstens schonmal ein paar Kalorien und mein Blutzucker fährt auf der Achterbahn nicht auch noch Loopings. Hinzukommt, dass Eiweiß, was wir eh aufgrund der Medikamente und eingeschränkten Nahrungsaufnahme vermehrt benötigen, den Blutzucker schön stabil hält. Welche Art von Eiweiß ihr am besten vertragt, müsst ihr ausprobieren. Ich habe festgestellt, dass Eier, Fisch und Fleisch für mich am besten aufzunehmen sind, da ich nur wenige Hülsenfrüchte und die auch nur, wenn der Bauch nicht so schlimm ist, vertrage.

3. Trinken
Gerade in den letzten Wochen hatte ich seit langer Zeit zum ersten Mal, Probleme zu trinken, weil der Magen durch den Crohn so angegriffen war. Dabei ist Flüssigkeit so wichtig! Also, drink up! Es gibt so viele leckere Tees und stilles Wasser, z.B. mit Minze oder tiefgekühlten Beeren ist es echt lecker. Nur von zu zuckrigen oder kohlensäurehaltigen Getränken haben mir meine Ärzte abgeraten...aber zum Glück mochte ich die eh noch nie:)

4. Bewegung
Wie ihr ja wisst mache ich einfach unheimlich gerne Yoga. Und tatsächlich, wenn ich morgens nicht mit Wecker raus muss und zuerst mit meinen Übungen und etwas Meditation beginnen kann, tun mir die Knochen nicht so weh, mir ist nicht mehr so kalt und es geht ein wenig besser. Versucht es doch auch mal mit ein paar Runden, es muss ja nicht gleich vom Handstand in die Krähe und zurück sein. Katze-Kuh, herabschauender Hund, die eine oder andere Drehung reichen mir oft schon...auch um auf bessere Gedanken zu kommen. Außerdem bin ich eine Verfechterin des schnöden Spaziergangs im Hellen. Auch hier geht es nicht um km-weite Wanderungen. Aber zwischendurch mal um den Block, Sauerstoff und Tageslicht tanken und nicht nur drinnen rumhocken...ganz ehrlich? Inzwischen verbiete ich mir, außer es geht wirklich gar nix, die Ausreden, sondern mache einfach.

5. Listen
Ohne To-Do-Listen mit Priorisierung für alles, geht bei mir gar nix (was übrigens nicht heißt, dass ich die Hälfte dessen, was auf meinen Listen steht, vergesse). Natürlich schreibe ich mir zum Einkaufen Listen, oft mit genauen Erklärungen: was genau wollte ich in der Apotheke (z.B. Medikamente oder Extras aufschreiben)? Wieso musste ich zur Post (z.B. Päckchen, Briefmarken, was anderes)? Zu welchem Lebensmittelgeschäft oder Drogeriemarkt wollte ich und wann? Ich schreibe mir auf, wenn ich Wäsche in der Waschmaschine habe (wichtig, sie schimmelt schneller als man denkt:(, ob ich die Spülmaschine angestellt habe und wann ich losfahre, wenn ich zum Arzt muss. Aber auch, wenn ich Papierstapel aufräumen, den Müll rausbringen oder mal wieder tanken muss (weil das Lämpchen seit 3 Tagen leuchtet...steht so auf meiner Liste). Das meinte ich oben mit Priorisierung: manches, aber nicht alles muss immer sofort geschehen, sondern lässt sich oft auch auf mehrere Tage oder Wochen verteilen (dafür habe ich inzwischen eine andere Liste). 

6. Familie, Freunde, was anderes
Ich habe es schon so oft geschrieben, mich aber in letzter Zeit oft selbst nicht dran gehalten: es ist so wichtig, andere Leute zu sehen, andere Dinge zu hören, andere Umgebungen zu erleben. Eigentlich habe ich gelernt, dass man zuhause bleibt und sich ausruht, bis man wieder fit ist. Das funktioniert aber bei dieser Erkrankung nicht. Und so habe ich z.B. kaum gemerkt, dass ich außer meiner Familie, meinem Freund und meiner besten Freundin im letzten Jahr kaum jemand anderes außerhalb meiner Arbeit gesehen habe (naja, außer die ganzen Ärzte). Das lag zum einen daran, dass ich die meisten Feiern abgesagt habe. Zum anderen habe ich mich aber auch schlichtweg nicht verabredet, weil ich immer so kaputt war. Als ich dann auch Konzertkarten meiner Lieblingsband noch nicht mal versucht habe zu kaufen, weil ich wusste, dass ich nicht so lange stehen kann, sagte meine Freundin, eigentlich ganz simpel: "Dann musst du halt irgendwohin gehen, wo du sitzen kannst." An meinem Geburtstag habe ich ja damit begonnen und auch wenn ich danach richtig platt war, hatte ich endlich mal wieder etwas schönes, an das ich (erstmal im Bett) denken konnte. Und dann ging es aber weiter: jede Woche habe ich jetzt eine kleine Verabredung, mit jemand, den ich lange vertröstet habe: ein kleiner Bummel in der Stadt, Zuschauen beim Tennistraining meines Patenkindes, ein Theater- und Konzertbesuch, ein kleiner ruhiger Yinyoga Workshop. Alles ist sauanstrengend, aber das ist eh alles. Und das hier tut wenigstens gut. 

So, und jetzt muss ich erstmal wieder auf meine Listen schauen und ein paar "sofort"-Sachen abarbeiten (oh Gott, diese Wäsche...). Wie ihr oben gelesen habt, ist es zur Zeit wirklich besonders heftig, manchmal vergesse ich den Fuß vor den anderen zu setzen, nur weil ich nicht mehr dran gedacht habe.  So krass ist es zum Glück nicht immer. Aber als eine Kollegin mit einer anderen Autoimmunerkrankung mich neulich ansprach und fragte, ob ich nicht mal was zu Fatigue schreiben könnte, sie könnte z.B. nicht gleichzeitig spazieren gehen und mit ihrem Freund quatschen, weil sie so kaputt sei, da rannte sie einfach offene Türen ein...und ich war, ehrlich gesagt, total froh, nicht alleine damit zu sein.

Und ihr seid es auch nicht!
Alles Liebe,
Josie 

PS: Und übrigens, jetzt hab ich doch Karten für meine Lieblingsband:) nächstes Jahr touren sie nämlich weiter durch die Gegend und mein Freund hat nicht nur herausgefunden, dass es in Essen auch Sitzplätze gibt... nein, er hat zwei davon sogar sofort gekauft...so toll:)

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