Donnerstag, 15. Juni 2017

Was für ein Luxus, ich darf nichts tun

Vor ein paar Tagen sprach ich mit einer Freundin über ihren letzten Meditationsretreat. Natürlich wollte ich wissen, wie es ihr gefallen hat, aber auch welche Art von Meditation sie dort geübt hatte. Einen Namen gab sie dem Ganzen nicht, sagte aber, dass sie die Stunden des Sitzens, mit Nichtstun bzw. dem Gedanken daran, dass sie wirklich nichts zu tun brauchte, verbracht hätte. Dabei habe sich allerhand Positives in Geist und Körper getan und es sei bestimmt auch was für mich.

Mal abgesehen davon, dass ich mich sofort zappelnd und im Kopf Einkaufs- und- sonst-was-Listen schreibend vor Augen hatte, überlegte ich auch, dass ich mit Yoga und Meditation eigentlich schon ganz gut aufgestellt bin (was ihr gerne auch hier nochmal nachlesen könnt: Seit 15 Jahren Yoga) und meine Art der Meditation, wenn ich z.B. einfach nur meinen Atem beobachte oder bis 10 zähle, ganz ähnlich ist. Mich ließen die Worte meiner Freundin, ich nenne sie N.;), jedoch nicht los und ich probierte es abends aus. Stellte mir den Wecker auf 30 Minuten, mit dem Gedanken, dass es bestimmt die Hölle würde und dem Eingeständnis, dass meine Meditationspraxis wohl noch in den berühmten Kinderschuhen steckte. Los ging es also, nachdem ich mein Kissen vor das offene Fenster geschoben und mir eine Decke über die kalten Beine gelegt hatte. Natürlich begann ich sofort mit der Einkaufsliste, dem Planen des nächsten Tages, Überlegungen, mit welcher Medikation ich meinen Bauch nur endlich wieder ruhig stellen könnte (dazu gleich noch mehr). Und das ist nur eine kleine Auswahl der Themen, die in meinem Kopf abgingen. Dass der Geist sich wie ein kleines Äffchen von Baum zu Baum schwingt und oft gar nicht an Beruhigung denkt, lernen wir ja im Yoga. Also versuchte ich ihn immer wieder einzufangen und darauf einzuschwören, dass er doch eigentlich nix zu tun brauchte. Er hatte die Erlaubnis mal richtig abzuhängen. Dasselbe galt, mal von der aufrechten Sitzposition abgesehen, auch für meinen Körper. Ich stellte nämlich fest, dass mein vermeintliches Nichtstun gepfuscht war: ich hielt meinen Kiefer verkrampft in einer Position, die Schultern hingen quasi unter den Ohren, und der Punkt zwischen den Augen, auch manchmal 3. Auge genannt, war ganz verspannt. Ich begann also damit, mir ein paar Mal zu sagen, dass ich wirklich nichts zu tun bräuchte und siehe da, die kleinen Muskeln, auf die ich oft nicht achte, begannen loszulassen und sich zu entspannen, genauso wie mein Geist, der langsam ruhiger wurde.

Ihr fragt euch vielleicht, warum ich das hier erzähle, was es mit meiner Erkrankung zu tun hat? Seit Anfang Mai meldet sich mein Darm wieder mehr, inzwischen stecke ich in einem ausgewachsenen Schub. Als es so heiß war, musste ich so oft auf Toilette, dass ich viel Flüssigkeit verlor und letztendlich mal wieder Infusionen zur Rehydrierung und zum Auffüllen von Vitamin B12 und Eisen brauchte. Von der Hitze abgesehen, die bei vielen zur Verschlechterung der Symptome führt, weil der Stoffwechsel einfach plötzlich mit anderen Dingen beschäftigt ist, als die Grunderkrankung in Schach zu halten, habe ich andere kleine Dinge festgemacht, die schon ausreichen, um den Darm zu ärgern: ich hatte aus beruflichen Gründen zu viel gesessen, Dinge gegessen, die ich eigentlich nicht so gut vertrage, von einer Ärztin hatte ich chinesische Kräuter verschrieben bekommen, die mein eigentlich ruhiges Vegetativum in Aufregung versetzt hatten, so dass ich Herzklopfen bekam und einige Nächte kaum schlafen konnte. Kurzum, es kamen also mehrere "Kleinigkeiten" zusammen und schwups war ich im Schub.

Meine Reaktion? Ausruhen. Ich sagte sämtlich Verabredungen ab, verordnete mir ein paar Tage auf der Couch, machte nur vorsichtig und mit Handbremse Yoga, meditierte, aß Schonkost. Alles, damit es meinem Bauch wieder besser ging. Das schien zuerst auch zu klappen und ich war ein bisschen stolz auf mich, dass ich so vernünftig und schnell reagiert hatte. Als ich dann mein tägliches Arbeitspensum wieder hochfuhr, wurde es jedoch wieder schlechter und das Ergebnis ist, dass ich mit dem Cortison wieder hochgehen muss und das nächste Immunsuppressivum winkt. Ich fand das, natürlich, frustrierend. Immerhin hatte ich an meiner Medikation seit dem Krankenhausaufenthalt und den anderen Dingen, die ich gelernt hatte, nichts geändert. Was mir aber nach dem Gespräch mit meiner Freundin  aufgefallen ist: bei aller Medikation, Wickeln, Entspannungsübungen, Nahrungsanpassung, es geht nie wirklich ums Nichtstun. Man tut nur vielleicht andere Sachen, als wenn man ganz gesund wäre, aber man ist ständig damit beschäftigt, etwas zu tun, was einem guttut, was einen wieder fitter macht, was einen dazu bringt, wieder am normalen Alltag teilnehmen zu können. Ich weiß es nicht, ich bin weder Ärztin noch Psychologin, aber vielleicht ist selbst das alles für einen kranken Körper manchmal zu viel? Vielleicht braucht er wirklich mehr Zeiten des absoluten Nichtstuns: keine Kümmelwickel, keine Yogaübungen, keine Tabletten für den nächsten Tag fertig machen. Alles Dinge, die ich natürlich mache, wenn ich eigentlich nichts tue. Um diese Kontinuität zu durchbrechen, habe ich mir in den letzten Tagen das 30- bis 60-minütige Sitzen auf meinem Kissen verschrieben, nichtstuend. Nur ich und meine Gedanken und zwischendurch der Satz: Was für ein Luxus, ich darf nichts tun:)


(https://pinterest.com/pin/112519690669876189/?source_app=android; letzter Zugriff: 15.6.2017)

Ob es mich aus meinem Schub herausbringt, weiß ich noch nicht. Auf jeden Fall bin ich wieder ruhiger und gelassener geworden. Denn wenn ich nichts tue, kann ich auch nichts falsch machen. Etwas, das natürlich bei jeder Verschlechterung in meinem Kopf herumschwirrt, obwohl mich gestern nochmal ein Arzt daran erinnerte, dass die Dinge manchmal eben einfach sind wie sie sind und man nicht für alles verantwortlich ist. 

Vielleicht hat die eine oder andere unter euch ja auch Lust, es auszuprobieren. Wenn du kein Mediationskissen hast, kein Problem. Setz dich auf dein Sofa, auf einen Stuhl oder auf die Wiese und leg los. Du traust dir 30 Minuten nicht zu? Dann beginne mit 5 oder 10. Du möchtest die Augen nicht schließen? Dann schau vor dich hin. Es klappt beim ersten Mal nicht? Big deal, versuche es einfach nochmal. Du konntest ja bestimmt auch nicht auf Anhieb Radfahren oder Tennis spielen.

Ich wünsche dir einen schönen Tag und wenn dir zwischendurch der Kopf schwirrt oder du nicht weißt, was du tun sollst, dann tu doch einfach mal nichts:)

Deine Josie